Jenseits vom Epirus Ein Roman von Nikos Themelis

 

Jenseits vom Epirus
Ein Roman von Nikos Themelis

 

Ende des 19. Jahrhunderts im Epirus. Der Norden des heutigen Griechenlands gehört zum osmanischen Reich. Es gibt regen wirtschaftlichen und kulturellen Austausch zwischen den Völkern dieses Großreiches, aber die dunklen Wolken künftiger Kriege um die Aufteilung des osmanischen Reiches ziehen am Horizont auf. Noch sind es vor allem die Griechen, die in ihren Siedlungsgebieten einen sichtbaren wirtschaftlichen Aufschwung erleben.Vor diesem Hintergrund führt uns der 1947 in Athen geborene Autor Nikos Themelis mit seinem Roman “Jenseits vom Epirus” in die Welt seines Großvaters Nikolas ein. Nikolas wächst im Epirus auf. Als junger Mann kommt er auf die Insel Lesbos und danach in die blühende Metropole Smyrna. Von Smyrna führt der Lebensweg seiner Familie nach Konstantinopel. Die Kriege des beginnenden 20. Jahrhunderts verschlagen die Familie dann in das griechische Königreich.

 

Nikos Themelis erzählt mit großem Einfühlungsvermögen und einer besonderen Sensibilität für die Menschen jener Zeit die Geschichte des Lebens seines Großvaters und seiner Zeit. Er wählt dazu 6 unterschiedliche Personen, die aus ihren Blickwinkeln jeweils über die einzelnen Etappen des Lebens des Nikolas berichten. Die Ereignisse der 6 Kapitel sind teilweise miteinander verwoben, ohne dass diese Erzählform das Buch unübersichtlich machen würde. Nein, es ist eher so, dass wir den Personen näher kommen, weil wir ihnen aus verschiedenen Blickwinkeln begegnen und sie und ihr Handeln tiefgründiger empfinden.
So lernen wir den jungen Nikolas und seine Prägung auf der Insel Lesbos im Örtchen Molivos kennen. Lesbos war zu jener Zeit sowohl von Griechen als auch Türken bewohnt. Dazu kamen noch Armenier, Albaner und Menschen anderer Nationalitäten. Am Bau einer modernen Ölmühle beteiligen sich unter der Leitung eines griechischen Bauherren, wie es eben üblich war, Menschen unterschiedlicher Volksgruppen. Man tolerierte die unterschiedlichen Religionen und Lebensweisen und viele Dinge des Lebens wurden gemeinsam erlebt und vollbracht. Wenn die Bauleute sich von ihrer anstrengenden Arbeit erholen wollten, besuchten sie gemeinsam den Hamam, das türkische Bad. Oder sie saßen in einem der vielen kleinen Kaffeehäuser und erzählten sich Geschichten bei einem Gläschen Raki.
Es ist die detailreiche Schilderung des Alltäglichen, die vielen kleinen Dinge des normalen Lebens, die diesen Roman so überraschend lebendig und gleichzeitig spannend machen. Man spürt, welche Dinge tatsächlich Einfluss auf die Menschen und ihre Entwicklung haben. Und dies ohne politische Belehrungen oder den erhobenen Zeigefinger.

Der Roman ist ein Plädoyer für das Zuhören und Hinsehen, das Erkennen des Wertes der anderen Kultur und Lebensweisen. Er erweckt die Sehnsucht nach einem friedlichen Miteinander der Menschen. Aber wir verspüren zugleich auch den Schmerz. Den Schmerz über das unwiderbringbar Verlorengegangene. Als in Folge der türkisch/griechischen Kriege und des Friedensvertrages von Lausanne die ethnische Trennung beschlossen wurde, verloren Millionen Menschen ihre Heimat und damit ihre Wurzeln. So ging die griechische Metropole Smyrna unter und verwandelte sich in das türkische Izmir. Die Türken mussten Nordgriechenland und die Inseln verlassen. Und mit den Menschen gingen auch ihre Kulturen, Religionen und Lebensweisen. Nikos Themelis vermittelt dieses Gefühl des Verlustes in beide Richtungen. Sowohl in die griechische als auch in die türkische. Und mit etwas Phantasie kann man erste Ahnungen davon bekommen, was die Völker des östlichen Mittelmeers gewinnen würden, wenn sie zu einer friedlichen gemeinsamen Zukunft kommen könnten. In Deutschland löst es gelegentlich Verwunderung aus, wenn sich immer mehr Menschen Griechenlands für eine Aufnahme der Türkei in die EU einsetzen. Wie ist das nur möglich, Griechenland und Türkei das sind doch Erzfeinde, die sind doch wie Feuer und Wasser? Vielleicht kann dieses so “unpolitische” Buch uns manche Antwort auf diese Fragen geben. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Originalausgabe nach Angaben des Piper Verlages in Griechenland seit mehreren Jahren in den Bestsellerlisten auftaucht.
Wir haben uns in Deutschland bereits daran gewöhnt, dass wir in alle Himmelsrichtungen offene Grenzen haben und nicht militärisch bedroht sind. Daher sollten wir es eigentlich umso mehr verstehen, wenn Griechen und Türken sich eine ähnliche Zukunft wünschen. Dieses Buch bringt uns diese Menschen näher. Vielleicht kann es auch ein wenig dazu beitragen, dass wir Deutschen etwas mehr Mut und Verantwortung aufbringen, wenn es um unseren Beitrag für eine friedliche Entwicklung im östlichen Mittelmeerraum geht.

 

Leseprobe

Nikos beugte sich hinunter und sagte zu Ihm: “Mehmet warum gefällt dir der Hamam?” “Weil er mich an meine Heimat erinnert, an das, was meine Großväter und die Großväter meiner Großväter erschaffen geschaffen haben?” “Wenn die Erde bebt, ein mächtiges Beben, Mehmet, wenn das Unterste zuoberst kommt, was soll stehenbleiben, dieser Hamam oder die Öhlmühle?…” Und als Nikos fragte: “Warum der Hamam und nicht die Ölmühle?”, erwiderte er: “Weil er mit einer Meisterhaftigkeit gebaut ist, wie es keine zweite gibt, aber Ölmühlen können wir zwei-, dreimal und immer wieder aufbauen.?” Und der Maultiertreiber gab zur Antwort, auch er würde den Hamam retten, und auf die Frage warum, sagte er, der Hamam sei etwas, das ihm gehöre, auch wenn das natürlich nicht so sei, hingegen für die Ölmühle, für die könne er niemals ein solches Gefühl empfinden …

Christian Schwarzenholz