Auf einer unserer Reisen, als wir von Johannina Richtung Thessaloniki unterwegs waren, wollten wir nicht denselben Weg wie beim vorigen Mal nehmen – den über Metsovo, das natürlich auch sehr berühmt und schön ist – und weil wir vorhatten, uns die Vikos-Schlucht anzusehen (wieder eine andere Geschichte, die ich Ihnen vielleicht ein anderes Mal erzähle), wählten wir die Straße über Konitsa. Wir fuhren durch sehr viele Kurven und hatten noch mehr vor uns (ich sage nichts über die Lastwagen, die dafür sorgten, dass unsere Fahrt sehr langsam vonstatten ging). An irgendeiner Stelle, als wir uns Veria näherten – es war schon recht spät, ich war gerade Beifahrerin – schaute ich auf die Karte und sagte zu meinem Mann: „Hier in der Nähe ist Vergina. Ich habe gelesen, dass es dort sehenswerte archäologische Stätten aus der Geschichte der Makedonier gibt, unter anderem das Grab Philipps II., des Vaters Alexanders des Großen. Da wir doch schon in der Nähe sind, warum halten wir nicht an und suchen uns ein Hotel, damit wir morgen schauen können, was es dort gibt?“ Gesagt, getan.
Ein Hotel zu finden, war nicht schwer, denn es gab nur eins. Wir hatten Glück, dass noch ein Zimmer frei war, und zwar ein sehr schönes. Als wir ausgingen und eine schöne Taverne suchten, stellten wir fest, dass Vergina damals anscheinend noch nicht viele Touristen erwartete, denn – obwohl Sommer war – wir fanden nicht viele offene Lokale. Unser Abendessen nahmen wir im Garten einer kleinen Taverne ein. Dort wurden wir außerordentlich nett umsorgt; der Wein und das Essen waren sehr lecker. Wie dem auch sei, am anderen Morgen spazierten wir nach dem Frühstück zu den Sehenswürdigkeiten. Auf das, was uns erwartete, waren wir nicht so richtig vorbereitet.
Ich kann es nicht als Museum bezeichnen. Auch nicht als Ausgrabungsstätte. Wir fanden die königlichen Gräber der Makedonier in einer so beeindruckenden Weise restauriert, dass meine Worte nicht ausreichen es zu beschreiben. Auch jetzt noch, wo ich versuche unseren Lesern zu sagen, wie mich dieser Eindruck überwältigt hat, finde ich nicht die passenden Worte.
Deshalb schreibe ich das auf, was in dem Informationsblatt steht, das der Besucher erhält, wenn er den Eintritt zu der archäologischen Stätte bezahlt. … zwischen den heutigen Dörfern Palatitsa und Vergina breitet sich eine sehr schöne antike Stadt aus, die mit Sicherheit identisch ist mit Aigés, der antiken Hauptstadt des Königreichs Nieder-Makedonien.
In dieser Stadt, die bis zum 4. Jh. v.Chr. das wichtigste städtische Zentrum der Umgebung war, befinden sich die ererbten Heiligtümer der Makedonier nebst den Palästen und den für ihre Schätze berühmten Gräbern der Argeadischen Könige, des Geschlechts, das, ausgehend von einem mythischen Helden, von Herakles, der griechischen Geschichte ihre hinreißendste Gestalt gab, Alexander den Großen.
Aigés war von alters her der Mittelpunkt der königlichen Herrschaft und behielt, selbst nachdem Pella im 4. Jh. v. Chr. zum Verwaltungszentrum wurde, den Glanz der für die Dynastie heiligen Stadt. An diesem Ort lebten und wirkten Könige wie Alexander I. (495-452 v. Chr.) und Archélaos (413-399 v. Chr.), der seinen Hof zum Zentrum der Wissenschaft und der Künste machte, indem er dort die prominentesten Künstler und Intellektuellen seiner Zeit versammelte. Und hier wurde im September 336 v. Chr., nachdem Philipp II. im Theater der Stadt ermordet worden war, Alexander (336-323 v. Chr.) zum König ernannt.
Die Ausgrabungen … brachten das Theater zum Vorschein und einen imposanten Palast mit einem großen, von Säulen umgebenen Hof mit monumentalen Propyläen, mit einem Heiligtum, das der Anbetung des Vorfahren Herakles geweiht war, mit luxuriösen Räumen, ausgestattet mit Mosaikfußböden und allen Bequemlichkeiten für Symposien; es scheint, dass beide zu derselben baulichen Anlage gehören und auf die Zeit vor dem Ende des 4. Jh. v. Chr. zu datieren sind. Wir müssen auch noch das Heiligtum der Göttin Eukleia erwähnen. Es hat zwei Tempel, einen Altar und mit Inschriften versehene Sockel, königliche Weihgaben aus der Zeit Philipps II. Weiterhin sieht man Fundamente öffentlicher und privater Gebäude, die auf das 5. Jh. v. Chr. bis zum 1. Jh. n. Chr. zu datieren sind, außerdem einen Teil der Akropolis und der hellenistischen Befestigungsanlagen der Stadt.
Die Aufmerksamkeit der an den Ausgrabungsarbeiten Beteiligten jedoch konzentrierte sich hauptsächlich auf die riesige Nekropole, die sich im Norden der Stadt auf einer Länge von mehr als 2 km erstreckt. Ihre Erforschung trug außerordentlich reiche Früchte, die die ständige Besiedlung des Gebiets seit 1100 v. Chr. bis zur Zeit des Römischen Reiches belegen und die den großen Reichtum, aber auch die Kultur der makedonischen Hauptstadt beweisen.
Unter den Funden, die die alten Sagen über die Nekropole von Aigés bestätigen, befinden sich reich mit Grabbeigaben versehene Begräbnisstätten hervorragender Mitglieder der Königsgeschlechter in Gräbern aus der Eisenzeit, die „goldenen“ Mulden- und Truhengräber des 6. und des 5. Jh. v. Chr., die am Stadtrand gefunden wurden, insgesamt zehn tempelförmige „makedonische“ Gräber, unter denen das Grab mit dem glanzvoll geschmückten Marmorthron hervorsticht. Es gehört aller Wahrscheinlichkeit nach der Mutter Philipps II., der Königin Eurydike. Die ungeplünderten königlichen Gräber, die die Schaufel von Manolis Andronikos unter dem großen Hügel ans Licht brachte, von denen das eine Philipp II. selbst gehört, haben das Weltkulturerbe bereichert um eine Reihe glänzender Werke der Kleinkunst und um die einzigartigen Originale antiker griechischer Malerei, Werke großer namhafter Künstler, die uns erhalten geblieben sind.
All diese Funde in Verbindung mit den zahlreichen Inschriften beleuchten die wichtige Rolle, die Aigés in seiner tausendjährigen Geschichte als Zentrum griechischer Kultur im nördlichen Bereich des griechischen Raums gespielt hat.
Der Besuch Verginas muss ganz bestimmt durch einen Besuch des archäologischen Museums in Thessaloniki ergänzt werden. Dort haben die Funde aus den Ausgrabungen den passenden Ort gefunden bewundert zu werden. |