Traum aus Stein und Federn

 

Traum aus Stein und Federn

 

Die Osterferien waren dieses Mal so kurz, dass An- und Abreise (per Auto!) die Hälfte der zur Verfügung stehenden Zeit in Anspruch nahm. Aber ihr, die ihr diese Zeitschrift lest, wisst natürlich, dass sich das trotzdem lohnt!

Dieses Mal verstrich aber auch die sonst ungeliebte Zeit auf der Fähre wie im Flug – und das lag an einem Buch, das mich Zeit und Ort vergessen ließ.

Der deutsche Titel ist nichts sagend, im englischen Original heißt es passender “Vögel ohne Flügel”. Wir werden auf eine Zeitreise mitgenommen: der Autor führt uns genau einhundert Jahre zurück in ein friedvolles Dorf irgendwo im Südwesten der heutigen Türkei.

Die Bewohner sind verschiedenen Glaubens, es gibt neben den Muslimen und Christen auch Juden, Kurden und Armenier, selbst der “völlig gottlose” Bettler findet sein Auskommen.

Wir werden Zeuge ihres Zusammenlebens, erleben den Beginn einer romantischen Liebesbeziehung, die sich parallel zu den dramatischen Geschehnissen entwickelt, die sich über zwanzig Jahre hinziehen: Die Gräuel in Thrakien, den ersten Weltkrieg, die Rollen und Interessen der vor Ort beteiligten Staaten.

Schließlich lernt auch der in der örtlichen Geschichte nicht so bewanderte deutsche Leser (und vielleicht auch mancher griechische Leser, der bislang die Geschichte eher aus nationaler Sicht betrachtet hatte?) die Rolle des Mannes kennen, dessen Namen der neue Flughafen Athens trägt.

Dann wieder Krieg, diesmal zwischen Griechenland und der Türkei, mit der Folge des “Bevölkerungsaustausches” – siebzig Jahre später wird man dafür den Begriff “ethnische Säuberungen” erfinden.

Lebendige Geschichte, spannend erzählt aus menschlicher Sicht, nicht aus der die Wahrnehmung beeinträchtigenden nationalen Sicht einer beteiligten Partei (der englische Autor lässt auch die Engländer nicht gut aussehen!). Die drastischen Beschreibungen der von allen Seiten begangenen Gräuel macht dieses Buch (auch) zu einem Anti-Kriegs-Buch.

Daneben werden bei “uns Kennern” durch die farbigen Schilderungen des damaligen Alltags und der örtlichen Genüsse Erinnerungen wach, die eine Brücke zu den handelnden Personen bildet: wenn Raki oder “zweimal aufgeschäumter Kaffee” getrunken wird, spielen weder die hundert Jahre, die uns trennen eine Rolle, noch der Glaube oder die Nationalität.

Die IRISH TIMES schrieb:

“Ein überwältigender, poetischer Roman über die wichtigen Dinge des Lebens: Liebe, Tod, Ehre, Scheitern und Schuld. Großartig geschrieben, in jeder Hinsicht hervorragend.”

Dem schließe ich mich an!

Louis de Bernière

“Traum aus Stein und Federn”

S. Fischer Verlag, 669 Seiten

19,90 €, ISBN 3-10-007125-5

Henning Meier